Die Lebensbedingungen der Menschen im Ankerzentrum Ingolstadt/Manching können wir nicht hinnehmen.

Wir UnterzeichnerInnen dieser Erklärung treten für einen Umgang mit asylsuchenden Menschen auf Grundlage der UN-Menschenrechte ein.

Schon immer flüchten Menschen vor Krieg, Verfolgung, Naturkatastrophen und Armut. Die meisten flüchten innerhalb ihrer Heimatländer oder in benachbarte Staaten. Nur ein kleiner Teil kommt nach Europa und in die Bundesrepublik Deutschland. Hier nehmen sie ihr Recht auf Asyl, das ihnen unsere Verfassung gewährt, in Anspruch.

Unsere im Grundgesetz verankerten humanitären und rechtsstaatlichen Prinzipien müssen vom Tag der Ankunft an garantiert sein. Menschen, die fremd und hilfsbedürftig sind, brauchen unseren besonderen Schutz. Dies ist die Voraussetzung für ein faires Asylverfahren, für ein würdiges und sicheres Zusammenleben und für freundliches und friedliches Miteinander in Ingolstadt und der Region.

Die Art und Weise der Unterbringung von Geflüchteten im Ankerzentrum (MIK in der Max-Immel-mann-Kaserne) und seinen Dependancen (P3 an der Manchinger Straße, NBS an der Neuburger Straße und in den Containern in der Marie-Curie-Straße 13) steht den UN-Menschenrechten und unseren humanen und christlichen Werten in vielen Punkten entgegen.

Vor Ort tätige Wohlfahrtsverbände kritisieren schon seit langem die Lebensbedingungen. Im Besonderen für Kranke, Traumatisierte, schwangere Frauen, Wöchnerinnen und Kinder sind sie unerträglich.

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Quelle: Bayerischer Flüchtlingsrat

Wir erklären: Inhumane Lebensbedingungen für Asylsuchende sind kein geeignetes Mittel, Migration und Asyl zu steuern. Sie schwächen den gesellschaftlichen Zusammenhalt und das Vertrauen in die staatlichen Institutionen.

Die Lebensbedingungen der Asylsuchenden entsprechen nicht den humanitären Standards. Es darf nicht der Eindruck entstehen, dass an den BewohnerInnen des Anker-Zentrums Exempel statuiert werden, um weitere Flüchtende in den jeweiligen Heimatländern abzuschrecken. Das würde den Menschen unterstellen, dass sie sich aus leichtfertigen und unberechtigten Motiven auf die Flucht begeben haben. Menschen, die fliehen, erleben in aller Regel großes Leid, Gefahren und Heimatverlust. Wie schmerzlich Flucht und Heimatverlust sind, kennen auch viele Deutsche aus ihrer Familiengeschichte.

Die Negierung dieses Leids führt bei den betroffenen Asylsuchenden zu Perspektivlosigkeit, Resignation, Depression und Apathie oder Aggression.

Für eine spätere Integration sind das sehr schlechte Voraussetzungen. Und jene, die auf Grund der rechtlichen Lage in ihr Heimatland zurückgebracht werden, nehmen ein erschreckendes Bild von Europa, Deutschland und Ingolstadt mit nach Hause, das eine friedliche Entwicklung in der Völkergemeinschaft erschwert.

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Quelle: Bayerischer Flüchtlingsrat

Wir kritisieren die mangelnde Transparenz über die Lebensbedingungen im Ankerzentrum Ingolstadt/Manching und wollen die dort herrschenden Zustände öffentlich machen.

Die Informationen, die uns von den BewohnerInnen, MitarbeiterInnenn von Hilfsorganisationen und ehrenamtlichen HelferInnen erreichen, sind beunruhigend und widersprechen dem Wertesystem unserer Gesellschaft.
Die Regierung von Oberbayern hat für den Betrieb des Ankerzentrums und seiner ausgelagerten Containersiedlungen das private Münchner Unternehmen PulsM beauftragt. Die Regierung handhabt Informationen restriktiv und nicht mit der erforderlichen Transparenz. Besucher haben keinen Zutritt. Über den Zutritt für Abgeordnete von Parlamenten und für Journalisten wird willkürlich entschieden, es gibt keine Möglichkeit, mit den BewohnerInnen vertraulich zu sprechen. Zugang wird lediglich zu ausgewählten Räumen gestattet. Ehrenamtliche HelferInnen haben nur sehr eingeschränkten Zugang und müssen immer wieder mit Einlassverboten rechnen.

Wir wenden uns im Einzelnen gegen folgende Aufnahme- und Lebensbedingungen für die Geflüchteten im Ankerzentrum Ingolstadt/Manching:

  • Alle Ankommenden werden ausnahmslos zentral untergebracht. Das bedeutet, dass hunderte Menschen unterschiedlichster Herkunft und Kulturen mit zum Teil erheblichen Traumatisierungen zum Zusammenleben auf engstem Raum gezwungen sind.
  • Die Verweildauer sollte drei bis maximal sechs Monate betragen. Mittlerweile wurde sie erhöht; in manchen Fällen ist sie zeitlich nicht mehr befristet. Eine große Anzahl von Menschen lebt unter diesen Bedingungen schon länger als sechs Monate, vielfach länger als 1 1/2 Jahre. In einigen Fällen liegt die Verweildauer noch deutlich darüber. Genaue Zahlen sind von der Regierung von Oberbayern nicht zu bekommen
  • Die erste Anhörung zum Asylantrag findet schon drei Tage nach der Ankunft statt, der Zugang zu unabhängiger Rechtsberatung ist kaum noch möglich. Die Menschen werden über ihre Situation und über ihre Optionen im Unklaren gelassen. Dies führt zu häufigen Widersprüchen und in vielen Fällen zu wesentlich längeren Verfahren.
  • Zimmer dürfen nicht abgeschlossen werden. Sanitärräume in der MIK können nicht abgeschlossen werden.
  • Es gibt kaum und wenn nur spärlich ausgestattete Gemeinschaftsräume. Es ist auch kein WLAN (Ausnahme P3) vorhanden. Fernseher im Zimmer sind ebenfalls nicht erlaubt. Niemand darf Besuch auf den Zimmern empfangen.
  • Es fehlen Gewaltschutzkonzepte.
  • Traumatisierte und Kranke bekommen keine ausreichende Hilfe und keine angemessene Behandlung.
  • Für Kinder gibt es kaum Betreuung und keine altersgemäßen Spiel- und Bewegungsmöglichkeiten. Vereinzelte Angebote reichen nicht aus und bieten keine pädagogische Förderung im notwendigen Ausmaß. Entwicklungsrückstände sind die Folge.
  • Schulpflichtige Kinder sind in den ersten drei Monaten ohne jegliche fachliche Betreuung. Danach gehen sie in eine ‚Campschule‘. Dort werden sie in den Klassen 1-4 und 5-9 gemeinsam unterrichtet. Ein Besuch der Regelschule ist laut Regierung „nicht vorgesehen“. Die Schulpflicht wird nicht durchgesetzt, wenn ein Kind nicht zum Unterricht erscheint. Nur sehr wenige Kinder dürfen eine Regelschule besuchen.
  • Für Erwachsene gibt es so gut wie keine Arbeits- und Beschäftigungsmöglichkeit. Die Einrichtungen liegen isoliert, meist abseits von Wohnbebauung und sind mit öffentlichen Verkehrsmitteln nur schwierig zu erreichen. Müllsammeln und ähnliches gegen ein Entgelt von Euro 0,80 pro Stunde sind die wenigen Gelegenheiten, sich zu betätigen. Eine Arbeitserlaubnis ist eine seltene Ausnahme.
  • Generell darf niemand Besuch empfangen, auch keine nahen Verwandten oder Partner.
  • Das Essen wird von einem Münchner Cateringservice geliefert und dreimal am Tag zu bestimmten Zeiten ausgegeben. Die fremde Kost ist auf Dauer für viele eine Belastung und wird nicht gut vertragen, was in der Folge zu Mangelerscheinungen führt. Sie wird auch den Bedürfnissen von Kranken, schwangeren Frauen und Kindern nicht gerecht. Die Mitnahme von (verderblichen) Speisen auf die Zimmer ist verboten. Kühlschränke sind nicht vorhanden. Taschenkontrollen nach von außen mitgebrachten Nahrungsmitteln durch die Security sind Standard. Kochmöglichkeiten sind nicht vorhanden, somit ist eine Eigenversorgung unmöglich. Das schafft vor allem für Mütter mit Kindern erhebliche Probleme. Daneben kostet diese Art der Verpflegung ein Vielfaches im Vergleich zur Auszahlung des üblichen Geldes für Essen.
  • Ständige Kontrollen beim Verlassen des Lagers und abermals bei der Rückkehr werden als schikanös erlebt. Häufige Zimmerkontrollen durch die Security sind an der Tagesordnung. Über die Ausbildungsstandards der Security Mitarbeiter gibt es keine Transparenz.

Die beschriebenen Umstände stehen im krassen Widerspruch zu unseren Grund- und Menschenrechten.
Die Achtung der Menschenwürde und die Ausrichtung am Kindeswohl sind nicht gegeben. Das Recht auf Privatsphäre, auf Unverletzlichkeit der Wohnung, auf Bildung, auf Rechtsbeistand etc. ist stark eingeschränkt. Die genannten Bedingungen tragen nicht zur Stabilisierung der Geflüchteten bei, belasten die HelferInnen zusätzlich und führen auch auf dieser Ebene zu Resignation und Ärger. Die Zivilgesellschaft wird von Informationen ausgeschlossen und somit das bürgerschaftliche Engagement erschwert und zurückgedrängt. Ressentiments in der Bevölkerung gegen Geflüchtete werden dadurch verstärkt und gefestigt.

Wir fordern:

  • Das Recht auf Privatsphäre und Unverletzlichkeit der Wohnung durch abschließbare Türen. Zimmerkontrollen müssen begründet, dokumentiert und von der Leitung der Einrichtung gegengezeichnet werden.
  • Unabhängigen Rechtsbeistand im Asylverfahren von Anfang an.
  • Rasche fachliche Hilfe und Behandlung für Kranke und Traumatisierte.
  • Gewaltschutzkonzepte sind einzurichten.
  • Besonderen Schutz und Betreuung für Schwangere, stillende Mütter und deren Säuglinge.
  • Betreuung der Kinder durch geschultes Fachpersonal und die Aufnahme der Kinder in die öffentlichen Einrichtungen. Den Schulkindern von Beginn an den Besuch der Regelschule ermöglichen.
  • Zugang zu Deutsch- und Integrationskursen von Anfang an. Bereits nach kurzer Verweildauer Zugang zum Arbeitsmarkt, unabhängig vom Status der Person.
  • Möglichkeit der Selbstversorgung und die Einrichtung von Gemeinschaftsküchen.
  • Eine rechtsverbindliche Begrenzung der Verweildauer in Sammelunterkünften auf maximal sechs Monate.
  • Die Einrichtung einer unabhängigen Kontroll- und Beschwerdestelle, um Missstände sichtbar zu machen und Änderungen zum Wohle aller Beteiligten durch qualitative Maßnahmen herbeizuführen.
  • Mitverantwortung der Gemeinden Ingolstadt und Manching und Öffnung der kommunalen Einrichtungen wie Kindergärten, Schulen etc.
  • Die Durchführung des Asylrechts ist eine hoheitliche Aufgabe und soll somit auch von Seiten des Staates durchgeführt werden. Das heißt, auch Unterbringung und Betreuung der Asylsuchenden sollen sich am Gemeinwohl orientieren und nicht von profitorientierten Unternehmen betrieben werden.
  • Rückkehr zu dezentraler Unterbringung. Geld zur Existenzsicherung statt Sachleistung.

Wir fordern die politisch Verantwortlichen auf, im Umgang mit Asylsuchenden Verhältnisse zu schaffen, die es den Hilfesuchenden erlaubt, zur Ruhe zu kommen, sich geachtet und respektiert zu fühlen. Ausgrenzung und Abwertung führt zu Konflikten, negativen Schlagzeilen und zu einer Erosion unserer demokratischen Werte. Wir treten dafür ein, dass Ingolstadt und die Region als Ort der Menschlichkeit und Menschenrechte bekannt werden.

Quelle: Bayerischer Flüchtlingsrat